Frauen und ihr Wunsch nach „Hellsichtigkeit“…

Wussten Sie, dass wir Frauen uns stundenlang damit beschäftigen können, was uns der Mann in unserem Leben vielleicht zu sagen hat?

In meiner paartherapeutischen Praxis in Nürnberg – und ich kenne es natürlich auch gut aus meinem eigenen Leben – kommen immer wieder Frauen zu mir, denen ich nach kurzer Zeit die Frage stelle: „Sind sie hellsichtig?“ Oder die sich von mir Antworten auf ihre Fragen zu gewisse Verhaltensweisen ihrer Partner wünschen. Und ich muss sie fragen: „Glauben Sie, dass ich hellsichtig bin?“…

 

Wir Frauen verbringen tatsächlich einen Großteil unserer Zeit damit zu hinterfragen, es von oben, unten, von links und rechts zu betrachten, zu analysieren, uns einzuspüren, um Antworten zu finden, warum unser Partner gerade so oder so reagiert. Wir können Stunden mit der Freundin am Telefon oder im Cafe darüber sprechen und plötzlich haben wir ganz viele Annahmen in uns. Was passiert da?

 

Beziehungen sind manchmal so verwirrend, weil wir dem Missverständnis unterliegen, unser Partner denke, fühle und (müsste) so handeln wie wir. Doch in vielen wesentlichen Punkten denkt, fühlt und handelt unser Partner eben ganz anders. Und dieser Trugschluss wirkt sich negativ auf unsere Beziehung aus. Probleme entstehen immer dann, wenn wir von unserem Gegenüber die Denkart, Gefühle und Verhaltensweisen erwarten, die wir von uns selbst gut kennen. Häufig schätzen Frauen die Liebe eines Mannes falsch ein, indem sie sein Verhalten nach ihren weiblichen Maßstäben bewerten. Z.B. gibt ein Mann gewöhnlich seinen Problemen den Vorrang und sieht über andere Zielsetzungen oder Verpflichtungen – die Familie und Beziehung betreffend – hinweg, die er für weniger wichtig erachtet. Wenn dabei die Bedürfnisse der Frau zu kurz kommen, fällt es ihr schwer an seine Liebe zu glauben. Der Gedankenfluss legt los: „Wie kann er nur das und jenes vergessen? Wenn ich ihm wirklich wichtig wäre, dann würde er…?“ NEIN! Stopp!

Die beiderseitigen Missverständnisse resultieren aus einem grundlegenden Unterschied zwischen Mann und Frau. In Problem- und Stresssituationen neigen Männer dazu, Prioritäten zu setzen und sich auf das Wichtigste zu konzentrieren. Im Gegenzug wollen wir Frauen uns zu unseren Problemen und Gedanken erst einmal grundlegend austauschen. Uns einfühlen in die jeweiligen Situationen und einfach reden. Wir Frauen reden einfach gerne. Auch und vor allem über unsere Probleme oder das, was uns gerade belastet oder schwer fällt. Männer neigen dazu, sich mit ihren Problemen eher zurück zu ziehen. Sie machen das mit sich alleine aus. Das haben sie i.d.R. so gelernt und entspricht ihrer Natur. Diese Rückzüge lassen für Frauen wiederum Raum für Interpretationen seines Verhaltens. Das heißt nicht, dass wir Frauen weniger lösungsorientiert unterwegs sind. Nein, wir suchen natürlich – genau wie der Mann – nach Lösungen, nur anders.

 

Wenn eine Frau aufgebracht ist, braucht sie zunächst einmal das Gefühl, es sei in Ordnung, dass sie sich so aufregt. Dieses Gefühl vermittelt ihr aber der Partner kaum. Denn dieser fühlt sich erst einmal richtig angegriffen und kontert mit einem Gegenangriff oder Rückzug. Beides sorgt für weitere Verletzungen, weitere „Sendepausen“ und die Spirale dreht sich weiter nach unten. Schweigen – Rückzug – Wunden versorgen.

 

Wie gibt es einen Ausweg aus dieser Spirale?

Der erste und wichtigste Punkt ist – aus meiner Erfahrung – zu akzeptieren, dass Frauen und Männer anders ticken, andere Prioritäten setzen. Zu akzeptieren, dass Männer anders empfinden, mit Stress umgehen und ihre Bewältigungsstrategien ganz andere sind als unsere Weiblichen. Ein Mann der gestresst ist, hört einer Frau i.d.R. nicht wirklich zu. Er kann – im Unterschied zu uns Frauen – ganz bei sich sein. Während Frauen sich in einer Stresssituation nichts anderes wünschen, als das der Partner sie abholt, sich ihnen zuwendet, möchte der Mann jetzt für sich sein, durchatmen, Ruhe finden, sich beruhigen. Frauen wollen sich erst einmal gar nicht beruhigen, sie wollen herauslassen, sich austauschen – und dann tief durchatmen.

 

Der nächste Punkt aus der Negativspirale ist eine gute, achtsame, respektvolle Kommunikation. Die will erlernt sein. Das ist nicht so einfach, wenn wir gerade aufgeregt sind und uns verletzt fühlen.

 

Frauen neigen dazu, ihre Bedürfnisse hinten anzustellen. Sie sind in der Regel versorgend und schnell mit Schuldgefühlen belastbar. Es reicht ein Zwischenton, ein Satz, damit eine Frau sich schuldig fühlt und sie wird dabei ihre Bedürfnisse noch weiter in den Hintergrund stellen. Unter Umständen ist es jedoch nur ein Rettungsversuch des „gestressten“ Mannes, der sich Raum, Luft und vor allem Zeit verschaffen will, um sich zu sortieren.

 

Also, wir Frauen haben eine gute Intuition – Männer im übrigen auch – und ich möchte auch keinem Menschen seine „Hellsichtigkeit“ absprechen. Ich glaube aber, dass wir mit „Reden“ weiter kommen in unseren Beziehungen. Einfach in dem wir nachfragen, wenn uns ein Verhalten seltsam erscheint. Das würde viele Missverständnisse ausräumen und Nähe schaffen. Zudem müssen wir Frauen den Männern dann auch Glauben schenken. Denn manchmal sind die Antworten der Männer ganz banal, ganz einfach, so einfach, dass wir es schon wieder kaum glauben können und etwas dahinter vermuten, was gar nicht ist. Also, bitte: zuhören und Glauben und Vertrauen schenken. Damit kommen wir viel weiter als mit stundenlangen Interpretationen, wie wer was gemeint haben könnte. Sicher.

 

Es gäbe noch viel, sehr viel, unglaublich viel zu schreiben über die Unterschiedlichkeit von Mann und Frau. Ich werde weiter dazu berichten. In einem meiner nächsten Artikel. Ich freu mich drauf.

Ihre Diana Beck